Rezension: Das Buch von Raúl Krauthausen
Das Buch von und über Raúl Krauthausen
Dachdecker wollte ich eh nicht werden
Raúl Aguayo-Krauthausen (geb. 1980 in Lima, Peru) erzählt in seinem Buch aus verschiedenen Episoden seines Lebens: die Schulzeit, später das Studium, die erste Liebe, Freundschaften, die erste eigene Bude. Er gibt dabei teils sehr persönliche und auch intime Einblicke in seinen Alltag als Rollstuhlfahrer.
Er schreibt von Begegnungen mit Menschen, bei denen seine Behinderung völlig in den Hintergrund gerückt ist, aber auch über die Tatsache, dass er immer wieder starrenden Blicken ausgesetzt ist oder von wildfremden Leuten am Kopf getätschelt wird.
Eingeleitet wird das Buch mit einem großartigen Vorwort von Roger Willemsen mit dem Raul Krauthausen eine Gala der Aktion Sorgenkind1 moderierte und bei dem er Gast in der Talkshow Willemsens Woche war.
Rezension
Etwa jeder zehnte Deutsche ist behindert, eigentlich sollte der Umgang mit behinderten Menschen eine Selbstverständlichkeit sein. Doch viele Menschen reagieren verkrampft, wenn sie eben solchen Menschen begegnen. Woran das liegt, kann ich nur mutmaßen. Hauptsächlich womöglich an zu geringer Gewohnheit und damit verbundenen Berührungsängsten. Überlegen Sie einmal: Haben Sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis einen Rollstuhlfahrer oder z.B. einen gehörlosen Menschen?
Krauthausens Buch wirft einen Blick hinter die Kulissen, will zeigen, dass Menschen, die z.B. auf einen Rollstuhl angewiesen sind, die gleichen Bedürfnisse und Wünsche haben, wie „die Normalen“ eben auch. Aber was ist normal?
Es ist eben kein Schritt zu einem barrierefreien Umgang mit der Behinderung, wenn man sie dauernd mit diesem drakonischen Begriff eines übergeordneten «Normalen» identifiziert. Wichtiger als so zu tun, als seien wir alle behindert, wäre doch, die Differenz wahrzunehmen und sie um ihrer selbst willen schätzen zu können.
Das Buch wirft die Frage auf, wie man Behinderung definiert bzw. vielmehr wie man sie betrachtet. Krauthausen sagt, eine Behinderung ist keine Krankheit. Krankheiten kann man heilen. Die Glasknochen (OI2) dagegen nicht. Kranke werden bemitleidet, behinderte Menschen wollen aber eben nicht bemitleidet werden.
Der Arzt Rudolf Virchow sah in der Abweichung von der Natur soetwas wie die Natürlichkeit der Natur, das Leben Reinform, also auch keine Krankheit im eigentlichen Sinne.
Fazit
Am meisten hat mich an dem Buch begeistert, wie offen und ehrlich Raúl über sich und sein bisheriges Leben schreibt und einmal mehr zeigt, wie wichtig es ist, den Menschen und die Persönlichkeit zu sehen und nicht nur den Rollstuhl. Was für eine Energie Raúl an den Tag legt, um seine Projekte voran zu bringen, ist beneidenswert.
Mich persönlich hat er quasi dazu angestoßen, mich auch einmal mit meinem eigenen Leben auseinanderzusetzen und mich auf den Weg zu begeben, Dinge zu akzeptieren3.
Übrigens: Für mich ist Raúl der Mann mit der Mütze, nicht der, der im Rollstuhl sitzt.
Ein must read für Leser, die sich über Themen wie Inklusion und Behinderung informieren wollen. Information und Gedankenanstöße aus erster Hand.
Daten kompakt
Kaufen | Amazon |
Verlag | Rowohlt Taschenbuch |
ISBN | 9783499622816 (gebundene Ausgabe) |
Erscheinungsdatum | 08.06.2015 |
Formate | Taschenbuch, eBook (ePub), Paperback |
Seiten | 256 (Paperback) |
- Aktion Sorgenkind wurde zwischenzeitlich umbenannt in Aktion Mensch. Zum einen, weil der Begriff Sorgenkind diskriminierend zu verstehen sein kann und zum anderen, weil er suggerierte, dass sich der Verein nur um Kinder und Jugendliche kümmere. ↩
- Osteogenesis imperfecta ↩
- Gedicht: Für immer fehlt ↩
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